Hildegard von Bingen wird zur Kirchenlehrerin erhoben
Die eindrucksvolle Äbtissin Hildegard von Bingen war eine Benediktinerin, die Außergewöhnliches geleistet hat. Im elften Jahrhundert war die Stellung der Frau nicht unbedingt dazu angetan, sich mit Religion, Medizin und Kosmologie zu beschäftigen. Hildegard von Bingen war eine beeindruckend intelligente und gelehrte Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Sie verkehrte mit hochgestellten Persönlichkeiten ihrer Epoche und nahm auch bei diesen Menschen kein Blatt vor den Mund. Da sie von ihren Mitmenschen verehrt und geschätzt wurde, konnte sie ihre ungewöhnliche Stellung nicht nur ausleben, sondern wurde dabei auch sehr unterstützt.
Obwohl Hildegard von Bingen in Deutschland und auch in anderen Ländern als Heilige verehrt wird, wurde der Heiligsprechungsprozess Hildegards nicht vollständig von der katholischen Kirche durchgeführt. Trotz einer viermaligen Prüfung durch den Vatikan wurde sie (vor 2012) nie offiziell heiliggesprochen. Trotzdem hat der römische Kirchenkalender Hildegard von Bingen schon lange als Heilige verzeichnet und der 17. September gilt als Gedenktag Hildegards. Denn im Mittelalter war eine abgeschlossene Kanonisation nicht zwingend notwendig und Hildegard wurde seit 1584 mit der Aufnahme in den Kirchenkalender als Heilige geführt.
Endlich offizielle Heiligsprechung von Hildegard von Bingen
Im Oktober 2012 wurde Hildegard von Bingen endlich offiziell anerkannt wird. Denn der Titel der Kirchenlehrerin, den Hildegard erhalten hat, können nur Heilige erhalten.
Zwar haben die Päpste die Verehrung Hildegards immer erlaubt, aber trotzdem musste das Verfahren abgeschlossen werden. Somit wurde endlich offiziell bestätigt, was für die meisten Gläubigen schon längst Fakt ist. Papst Benedikt XVI. setzt sich besonders dafür ein und empfiehlt Hildegard noch heute als Vorbild. Er rät zu einer Vertiefung in die theologischen Schriften, die Hildegard verfasst hat. Papst Benedikt XVI. selbst hat sie schon mehrfach als Heilige bezeichnet und schien schon alleine deshalb genau der richtige Papst zu sein, um die Kanonisation Hildegards zum Abschluss zu bringen. Der Papst zeigte sich tief beeindruckt über die geistliche Weisheit und Heiligkeit des Lebens, die Hildegards Lehren beinhalten. Er betonte in einer Generalaudienz im September 2010, dass Hildegards mystische Visionen den Propheten des Alten Testaments gleichen. Hildegard scheute sich nicht, konsequenten und engagierten christlichen Lebensstil von ihren Mitmenschen zu fordern, egal, welchen Standes sie waren. Papst Benedikt XVI. erkannte an, dass die Theologie auch einen besonderen Beitrag von Frauen erhalten kann. Dass Hildegard als Ratgeberin und Seelsorgerin von vielen hochgestellten Persönlichkeiten geschätzt wurde, war für Papst Benedikt XVI. ein Zeichen, dass sie als eine von Gott gesandte Botin betrachtet wurde und ihr dieser Platz auch gebührt.
Schon zu ihren Lebzeiten wurde Hildegard von vielen ihrer Zeitgenossen wie eine Heilige verehrt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der erste Antrag auf Heiligsprechung schon im Jahr 1228 gestellt wurde. Der damalige Papst Gregor IX. begann daraufhin mit den nötigen Untersuchungen. Diese wurden leider von ihm nicht fertiggestellt. Das Mainzer Domkapitel, ein Kollegium von Geistlichen, erhob immer wieder Einspruch, sodass auch der letzte Versuch von Papst Innozenz IV. im Jahr 1244 abgewehrt wurde. Die Widerstände des Mainzer Domkapitels lagen wohl weniger an der Person Hildegards, als an der Zuständigkeitsfrage. Rom hatte im Bereich der Heiligsprechung die entsprechenden Kompetenzen und die Kanonisation Hildegards wurde nicht abgeschlossen. Trotzdem wurde Hildegard von Bingen schon im 13. Jahrhundert auf einem Vorhang für einen Altarunterbau mit Heiligenschein dargestellt.
Das besondere Interesse Papst Benedikt XVI. an Hildegard ließ sich auch damit erklären, dass er sich sehr intensiv mit dem Leben und den Werken Hildegards beschäftigt hat. Unter seinem bürgerlichen Namen Josef Ratzinger war er in Bonn als Professor tätig. Während dieser Phase in den sechziger Jahren war Hildegard von Bingen für ihn Studienthema.
Für die Stadt Bingen bedeutet dies natürlich auch einen steigenden Grad an Popularität und einer wachsenden Touristenzahl.
Glaubenspolitisch ist zu erwarten, dass nicht alle katholischen Würdenträger die Anerkennung Hildegards begrüßen werden. Seinerzeit fast eine Rebellin folgten ihr ihre Nachfolgerinnen stets dabei, wenn es darum ging, unbequem für den Klerus zu sein. Die Benediktinerinnen leisten zwar auch heutzutage noch Enormes, trotzdem sind sie sich mit dem Kirchenoberhaupt nicht immer einig.
Hildegard von Bingen ist in den Stand der Kirchenlehrerin erhoben worden
Die Äbtissin ist die erste deutsche Frau, die diesen seltenen vergebenen Titel erhalten hat und die vierte Frau weltweit. Die anderen drei Frauen sind Teresa von Avila, Katharina von Siena und Thérèse von Lisieux. Die Bezeichnung Kirchenlehrer wird für Persönlichkeiten verwendet, die mit ihrer theologischen Lehre einen besonderen und nachhaltigen Eindruck und Einfluss auf die katholische Kirche ausgeübt haben. Dieser besondere Ehrentitel ist in der Vergangenheit erst 33 Persönlichkeiten zuteilgeworden. Das gesamte Leben, ihr Einsatz und ihre schriftlichen Nachlässe sind Gründe für die Erhebung in diesen seltenen Stand. Mit Hildegard von Bingen hätte Deutschland den zweiten Kirchenlehrer. Bisher war Albert der Große der einzige Deutsche, der von der katholischen Kirche diesen Titel erhalten hat.
Der Antrag, Hildegard als Kirchenheilige zu führen, wurde schon 1979 gestellt, und zwar von der Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauenverbände und -gruppen. Dieser Zusammenschluss wies nochmals auf die Wichtigkeit der Werke und Lehren Hildegards hin.
Hildegard von Bingen ist nicht umsonst die Schutzheilige der Sprachforscher und Naturwissenschaftler. Als Patronin verehrt zu werden, ist für die ungewöhnliche Äbtissin sicherlich eine Ehre. Ihre Visionen haben das kränkliche Kind zu einer wahrhaft großen Frau werden lassen. Sie war in ihrer Jugend schon eingeschränkt in ihren körperlichen Fähigkeiten, sah sehr schlecht und konnte zeitweilig kaum gehen. Doch ihre prophetische Gabe glich dies mehr als nur aus.
Generalaudienz des Papstes: Inhalte über Hildegard von Bingen
Der Papst betonte hier, wie wichtig Hildegard für die Menschen war und ist. Sie verstand es, das Wort Gottes zu verkünden, gleichgültig, ob sie dabei zu einfachen Bauern oder hochgestellten Persönlichkeiten sprach. Ihr Verständnis für die Natur führte dazu, dass sie für sich eine Apotheke Gottes fand, die heute wieder neues Interesse erfährt. Hildegard war eine große Frau ihrer Zeit, die für die gesamte Christenheit von großer Bedeutung ist. Der Papst betonte hierbei, wie wichtig Frauen wie Hildegard für die katholische Kirche seien.
Die Kirchenpatronin Hildegard
Wie wichtig Hildegard von Bingen in der deutschen Kirchenlehre ist, zeigen auch die vielen Kirchen, die unter der Schutzherrschaft von ihr stehen. Immerhin 14 deutsche Kirchen stehen als Hildegardkirche unter dem Patrozinium von Hildegard. Die berühmteste dürfte wohl die Grabeskirche mit dem Reliquienschrein der Heiligen Hildegard sein. Sie steht in Rüdesheim am Rhein, im Ortsteil Eibingen.
In dieser Kirche wird auch der Eibinger Reliquienschatz aufbewahrt. Diese Reliquien sammelte Hildegard von Bingen zu ihren Lebzeiten selbst. Die Hauptreliquien bestehen aus vier Häuptern von Heiligen und einem Arm. Des Weiteren gibt es gläsernen Reliquienschrank, der im südlichen Teil des Kirchenschiffs steht. In einer Lade befinden sich die eingeschlagenen Reliquien von den Heiligen Bartholomäus, Bonifatius und Barbara.
Die Hauptattraktion dürfte aber der Schrein mit den Gebeinen Hildegards sein. Unter einer gläsernen Kuppel befindet sich die kunstvolle, goldene Truhe mit den sterblichen Überresten der berühmten Äbtissin. Ihr zu Ehren wird in Eibingen am Gedenktag (17. September) von Hildegard jährlich das Hildegardisfest gefeiert. Dieser Gedenktag markiert gleichzeitig den Todestag von Hildegard von Bingen im Jahr 1179.
Der erstaunliche Werdegang von Hildegard von Bingen
Es mutet ein wenig seltsam an, dass ausgerechnet das zehnte Kind einer adligen Familie als Zehnter an ein Kloster abgegeben wurde. Zwar war die Familie sehr religiös, ein Bruder von Hildegard war Bischof und eine Schwester nahm ebenfalls den Schleier, trotzdem war es sehr verwunderlich, das Hildegard schon im zarten Alter von acht Jahren zu einer Klausnerin kam. Viele Klausner wurden damals bei lebendigem Leibe eingemauert, und nur ein kleines Fenster für die Versorgung blieb offen. Bei der Klausnerin Jutta von Sponheim war dies etwas anders. Die Klause war in der Frauenabteilung des Klosters auf dem Disibodenberg und ihre Kammer war mit einer Tür versehen, die sie selbst zwar nie nutzte, aber ihren Schülerinnen offenstand.
Gleichwohl war es ein einsames Leben, für das die kleine Hildegard, welches sie fortan führte. Ihre Verwandte Jutta von Sponheim lehrte Hildegard auf dem Disibodenberg Latein und Mathematik. Langsam erwuchs aus der Klause ein eigenständiger Konvent, und als Jutta von Sponheim starb, wurde Hildegard von den übrigen Nonnen zu ihrer Magistra gewählt. Der Mönch Vollmer, der in späteren Jahren nicht nur ihr Schreiber, sondern auch ihr Eingeweihter wurde, lehrte sie ebenfalls viele Dinge. Mit ihm schrieb sie ihre Visionen auf, da sie es als Wunsch Gottes ansah. Zuvor hatte sie dies nie gewollt und ertrug lange Schmerzen und Not. Ihr berühmtes Kloster auf dem Rupertsberg baute sie, da sie in einer Vision diese Aufgabe von Gott erhielt. Trotz ihrer immer wiederkehrenden Gebrechlichkeiten, wie zeitweiligen Lähmungen, ging sie sehr viel auf Predigtreisen und führte einen erstaunlichen Briefverkehr, von dem heute noch über 300 Briefe erhalten sind.
Die späteren Jahre der Hildegard von Bingen
Nicht zuletzt, weil Hildegard eine sehr besondere und intelligente Frau ihrer Zeit war, ist die offizielle Heiligsprechung und die Erhebung in den Stand der Kirchenlehrerin nachvollziehbar.
Sie war nicht nur für ihre Zeit revolutionär, sondern sie ringt auch heute noch vielen Menschen unglaublichen Respekt ab. Die Führung des Klosters war für die Äbtissin eigentlich Aufgabe genug. Trotzdem leistete sie Erstaunliches weit über diesen Bereich hinaus. Sie begab sich regelmäßig auf Predigtreisen und sprach vor Kirchen zu dem Volk. Dabei griff sie mehr als einmal auch die Priester und Oberen der katholischen Kirche an. Sie verurteilte deren Hang zur Gottlosigkeit und kritisierte, dass sie die Lehren des Christentums deshalb nicht genügend verbreiten würden. Offen prangerte sie an, dass die Priester kein Halt für die Kirche wären. Sie beschuldigte sie, raffgierig zu sein, und darüber ihre Pflichten zu vergessen.
Sie tauschte sich mit berühmten Personen aus, wie dem damaligen Papst Eugen III. und anderen Kirchenoberhäuptern. Sogar mit Kaiser Barbarossa führte sie einen regen Briefwechsel. Selbst kurz vor ihrem Tod führte sie noch Fehden zugunsten Benachteiligter. Sie geriet immer wieder mit Kaisern, Fürsten und Bischöfen aneinander, doch dies geschah immer in der festen Überzeugung, dem Wunsch Gottes damit zu folgen. Sie versuchte, die aus den Fugen geratene Welt der katholischen Kirche wieder zu schließen und setzte sich massiv für die Erneuerung der Kirche im Glauben ein.
Für ihre Überzeugungen trat Hildegard ihr ganzes Leben ein und widmete ihr 81-jähriges-Leben ganz Gott. Dabei war sie so unglaublich vielseitig interessiert, dass ihre Werke über Naturkunde noch heute geschätzt werden. Sie trug Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten zusammen, katalogisierte die Flora und Fauna ihrer Umgebung, komponierte Kirchenlieder und schrieb natürlich mithilfe eines Mönches ihre Visionen nieder. Denn scheinbar waren ihre mangelnden Kenntnisse der lateinischen Sprache so ziemlich das Einzige, dass die Äbtissin nicht in den Griff bekam. Dies bezog sich allerdings nur auf die sehr komplizierte Grammatik. Deshalb musste sie alles diktieren, anstatt es selbst niederzuschreiben. Ihre Predigten hielt Hildegard durchaus in lateinischer Sprache.
Sie stand und steht für die Frauen ihrer Zeit und auch noch für die Frauen von heute als wahres Vorbild da. Denn sie wagte sich weit über die Grenzen dessen, was Frauen gestattet war. Dachte die Kirche doch zu dieser Zeit, dass der weibliche Geist gar nicht für Wissen geschaffen sei. Sie hielt auch nichts von Askese, sondern forderte genügend Schlaf, Essen und Freude, um ein gefälliges Leben führen zu können. Die Ärztin in ihr erkannte die wichtigen Zusammenhänge von Glaube und Heilung, aber eben auch die Wichtigkeit einer gesunden Lebensführung. Sie widersetzte sich deshalb auch der Askese und befürwortete für ihre Zeit revolutionäre Ideen. Sogar fließendes Wasser ließ Hildegard in ihrem Kloster einbauen.
Doch nicht nur das weiblich geprägte Klosterleben erregte Aufsehen. So erschienen Hildegard und ihre Konventdamen zu bestimmten Festen nicht in Ordenstracht, sondern in festlicher Kleidung mit offenem Haar. Die Nonnen trugen hierbei Ringe, Gewänder aus weißer Seide und goldene Kronen zu Ehren der Jungfrau Maria.
Ihr Bestreben galt unter anderem auch der Rolle der Frau in dieser Zeit. Sie schaffte es, in einer patriarchalischen Welt einen ganz neuen Raum für die Frauen zu erschaffen. Dazu nutze sie sehr geschickt ihre Visionen, die von der Kirchenobrigkeit anerkannt waren. Somit war ihr und ihren Nonnen der Zugang zu Büchern und einer umfassenden Bildung möglich. Sie wehrte sich recht erfolgreich gegen die Unterstellung, dass die Frau unter dem Manne stehe, weil sie aus seiner Rippe erschaffen wurde. Ihr Argument, dass das Fleisch Adams viel besser war, als der Lehm, aus dem er erschaffen wurde, sprach von einem wahrhaft großen Geist. Sie bereitete vielen nachfolgenden Mystikerinnen den Weg und verband auf einzigartige Weise das Klosterleben mit Politik.
Hildegard nur auf ihre medizinischen Lehren zu reduzieren, wäre ein großer Fehler. Zwar ist die Hildegardmedizin gerade wieder sehr aktuell, doch hat die beindruckende Benediktinerin weit Größeres geleistet. Für Hildegard war immer der Bezug zu Gott wichtig, zum Kosmos und zu der Natur. Alles verknüpfte sie sinnvoll miteinander und leistete auf diese Weise wahrhaft Erstaunliches.