Viele Menschen sind von Hildegard begeistert. Die Faszination, die von ihren Werken ausgeht, hat seinen Grund in der mystischen Entstehungsgeschichte. Im Jahre 1141 erhielt Hildegard von Gott den Auftrag: Schreibe, was du siehst und hörst! Tue kund die Wunder, die du erfahren! Schreibe sie auf und sprich!
So entsteht in zehnjähriger Schreibarbeit ihr erstes grosses Werk „SCIVIAS“ (Wisse die Wege). Bei der Sysnode (1147) von Trier las Papst Eugen III. aus diesem Werk vor, womit Hildegards Sehergabe von höchster Stelle aus Anerkennung fand.
Der Abfassung ihrer naturheilkundlichen Schriften „Liber simplicis medicinae (Physica) und dem Werk Liber compositae medicinae (Causae et Curae) folgt das zweite Hauptwerk, Liber vitae meritorum, eine Moral- und Tugendlehre. In dieser Schreibepoche unternimmt Hildegard mehrere Predigtreisen und ergreift dabei in „wortgewaltigen Predigten öffentlich das Wort“, was für eine Frau ihrer Zeit äusserst ungewöhnlich ist. Es ist die Sorge um die „Einheit der Kirche… die Zuchtlosigkeit der Ordensleute und die Pflichtvergessenheit des Klerus“, welche sie diese Strapazen unternehmen läßt.
Mehrfach trifft sie mit Kaiser Friedrich I. „Barbarossa“ zusammen, der ihrem Kloster 1163 einen Schutzbrief ausstellt. Als der Kaiser den zweiten Gegenpapst Paschalis III aufstellt, ermahnt sie ihn in einem Brief vor diesem „törichten und bösen Tun“ und nach der Einsetzung Kalixt III, durch das der Kaiser das Schisma fortsetzt, weist sie diesen mit scharfen Worten zurecht:
„Der ist spricht: Trotz vernichte ich, und den Widerspruch derer, die Mich geringschätzen, zermalme ich um meiner selbst willen. Wehe, wehe, dieser Übeltat der Frevler, die mich verachten! Das vernimm, o König, wenn du leben willst; sonst wird dich mein Schwert treffen.“ (Briefe)
Daß Hildegard gegenüber dem höchsten weltlichen Herrscher solche Worte gebrauchen konnte, zeugt von ihrer herausragenden Autorität, die ihr wegen der göttlichen Sendung zukam.
Der dritte Teil der großen Visionstrilogie, das Werk Liber Divinorum Operum, eine Kosmologie, in der Hildegard den Bau des Universums schaut, entsteht von 1163 – 1173/4.
Das Gesamtwerk umfasst auch noch einige kleinere theologische und hagiographische Schriften: Explanatio Regulae S. Benedicti, Vita Sancti Disibodi, Vita Sancti Ruperti, Explanatio symboli Sancti Athanasii ad congregationem sororum suarum Expositio evangeliorum, Solutiones triginta octo questionum.
Weiters ihre musikalischen Werke: das Singspiel Ordo virtutum, und die 77 Carmina (Lieder) der Symphonia caelestium revelationum, die über 300 Briefe enthaltene Epistolae; und die bis heute nicht entzifferte Geheimschrift: Lingua ignota bzw die 25 Geheimzeichen, die Litterae ignotae.
Eine Dechiffrierung würde aller Voraussicht nach zu einem völlig neuen Weltbild führen, weil in diesem Code der göttliche Plan für den Aufbau der Welt vermutet werden kann.
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß ihre Werke auch unserem heutigen Denken sehr nahe sind. Das schlägt sich einerseits in einem „Hildegard-Boom“ nieder und kommt dadurch zum Ausdruck, daß sich hervorragende Wissenschaftler und Hildegard-Kenner mit den Werken und der Persönlichkeit Hildegards befassen.
Auf besonderes Interesse stößt vor allem ihre Ernährungslehre und Naturheilkunde, die heute eine ungeahnte Renaissance erlebt. Entdecker und Pionier der sogenannten Hildegard-Medizin war der Konstanzer Arzt Dr.med. Gottfried Hertzka. Dieser bescheidenen und fromme Arzt öffnete durch jahrelange Forschertätigkeit das Tor zur Hildegard-Medizin. Inzwischen haben bereits tausende von Menschen Heilung oder Linderung in ihrem Leiden erfahren. Wer immer sich ernstlich mit Hildegards Werken auseinandersetzt stellt fest, daß uns Hildegard einen wahren Schatz hinterlassen hat, der nicht durch Einzelinteressen „geplündert“ werden darf, sondern der gesamten Menschheit verfügbar gemacht werden muß. Dies haben wir Hildegard-Freunde uns zum Ziel gesetzt.
Hildegard starb am 17. September 1179 im Alter von 81 Jahren. Die zahlreichen Ehrentitel wie Prophetissa teutonica ,Wisserin höchster Geheimnisse usw. gipfeln in der Aussage des Kirchengeschichtlers Ignaz v. Döllinger, Hildegard sei eine in der christlichen Geschichte einzig und unerreicht dastehende Erscheinung.