Es kommt beim Einsatz von Pflanzen entscheidend auf die Menge an, denn die Dosis unterscheidet oft zwischen heilender oder schädlicher Wirkung: „Die Dosis macht das Gift.“
Großmutters Hausmittel werden in der Regel nicht wissenschaftlich untersucht, dennoch schwören viele auf deren Wirkungen.
Ähnlich sieht es bei den Heilpflanzen aus, wobei das Besondere an ihnen ist, dass sie in der Regel gegen mehrere Erkrankungen eingesetzt werden können.
Die wichtigsten Wirkstoffe der Heilpflanzen
Damit die Heilpflanzen, die von Hildegard von Bingen vielfach beschrieben wurden, ihre richtige Wirkung entfalten können, muss man zudem über deren Wirkstoffe informiert sein. Als Wirkstoffe werden dabei die Stoffe bezeichnet, die die Pflanze im Laufe ihres Wachstums gebildet und gespeichert hat. In jeder Heilpflanze sind neben den grundlegenden Wirkstoffen auch so genannte Ballaststoffe enthalten. Das sind Stoffe, die keine direkte Heilwirkung mit sich bringen, aber zum Beispiel die Aufnahme des eigentlichen Wirkstoffs erleichtern. So kann die Aufnahme des Wirkstoffs in den Organismus erst durch die Ballaststoffe ermöglicht, durch diese verlangsamt oder beschleunigt werden.
In den allermeisten Heilpflanzen finden sich verschiedene arzneilich wirksame Stoffe, doch in der Regel wird nur einer dieser Stoffe als Hauptwirkstoff angesehen. An diesem orientiert sich dann auch der Einsatz der Heilpflanze bei verschiedenen Erkrankungen. Dennoch dürfen genauso die Nebenwirkstoffe nicht fehlen, was sich in aktuellen Untersuchungen gezeigt hatte. Hier wurde der Hauptwirkstoff einer Heilpflanze isoliert und dessen Wirkung wurde beobachtet. Sie war deutlich anders ausgefallen, als wenn die Haupt- und Nebenwirkstoffe zusammenspielen konnten. Von daher ist es wichtig, dass alle Stoffe einer Pflanze in ausreichendem Maß in den Elixieren, Mischungen und Co. verwendet werden, um die optimale Wirkung selbiger zu erzielen.
Außerdem ist zu beachten, dass die Wirkstoffe je nach Pflanze unterschiedlich verteilt sind. So werden Wirkstoffe bei einigen Pflanzen in den Samen, bei anderen in den Wurzeln und bei wieder anderen in den Blättern gespeichert. Demzufolge müssen sich Anwender von Heilpflanzen darüber bewusst sein, wo genau die wichtigsten Wirkstoffe sitzen, damit sie die richtigen Pflanzenteile zum Beispiel selbst sammeln können.
Zu beachten ist zusätzlich, dass der Wirkstoffgehalt von Heilpflanzen teils deutlich schwanken kann. Dies liegt zum Einen an dem Standort der Pflanze, zum Anderen am Zeitpunkt der Ernte, sowie der Verarbeitung. Dieser erst einmal nachteilige Aspekt von Heilpflanzen kann aber problemlos neutralisiert werden, wenn die Heilpflanzen zur richtigen Zeit gesammelt und entsprechend der Vorgaben von Hildegard verarbeitet werden. Wer sich dies selbst nicht zutraut, kann ebenso auf die in der Apotheke angebotenen Heilpflanzen zurückgreifen. Diese sind hochwirksam und garantiert korrekt verarbeitet worden. Sie werden auch als Drogen bezeichnet, wobei dies nichts mit dem heute negativ besetzten Begriff des Suchtmittels gemein hat, sondern lediglich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes abgibt. So werden in einigen Ländern auch Apotheker als Drogisten bezeichnet.
Die wichtigsten Wirkstoffgruppen der Heilpflanzen sind ebenfalls entscheidend, wenn es darum geht, deren Wirkungen richtig einschätzen zu können. Diese sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Wichtige Stoffe, die in Heilpflanzen enthalten sind, sind unter anderem die so genannten Bitterstoffe. Diese sind in sehr vielen Pflanzen enthalten, doch wenn es um die Selbstmedikation mit Heilpflanzen nach Hildegard von Bingen geht, dann muss man hier anders argumentieren. Als Bitterstoffdrogen im Sinne Hildegards gelten Pflanzen, deren Wirksamkeit sich alleine auf die enthaltenen Bitterstoffe zurückführen lässt. Diese auch als Bittermittel bekannten Inhaltsstoffe werden in der Heilkunde der Pflanzen oft als Amara bezeichnet. Die Amara lassen sich dabei in verschiedene Gruppen unterteilen:
Amara tonica
Amara aromatica
Amara acria oder Acria aromatica
Amara tonica sind reine Bittermittel. Wenn neben den Bittermitteln auch noch größere Mengen ätherische Öle enthalten sind, spricht man von Amara aromatica. Diese Bitterdrogen haben einen bitteraromatischen Geschmack, verursacht durch die ätherischen Öle. Sind neben den Bittermitteln Scharfstoffe enthalten, so verändert sich der Geschmack ebenfalls – er wird scharf. Dann ist die Rede von den Amara acria.
Obwohl die allermeisten Heilpflanzen in die erste Gruppe der Bittermittel einzuordnen sind, ist deren Anzahl durch die Erkenntnisse und Erläuterungen Hildegards deutlich geschrumpft. Denn sie zählt lediglich die gegen bestimmte Erkrankungen wirksamen Pflanzen dazu.
Eine der Hauptaufgaben der Bittermittel besteht übrigens darin, dass sie die Magensaftsekretion deutlich anregen sollen. Zusätzlich sagt Hildegard ihnen nach, dass sie kräftigend wirken. Sie werden deshalb gerne bei einem geringen Appetit oder Störungen des Verdauungstraktes eingesetzt. Bei diversen Schwächeerkrankungen, wie nach einer schweren Krankheit, oder bei Blutarmut können Bittermittel ebenfalls genutzt werden.
Die Amara aromatica, die Bittermittel, die auch noch ätherische Öle enthalten, ähneln in ihrer Wirkung den Amara tonica. Allerdings können sie ihren Einsatzbereich durch die enthaltenen ätherischen Öle noch erweitern. Die Schafgarbe und Wermut sind zwei sehr bekannte und wichtige Vertreter dieser Heilpflanzen. Neben der Anregung der Magensaftsekretion, die durch den Duft der enthaltenen ätherischen Öle noch verstärkt wird, wirken diese Heilpflanzen auch auf den Darm, sowie die Funktionen von Leber und Galle. Ätherische Öle wirken weiterhin antibakteriell und können so vor allem bei Gärungserscheinungen im Darmbereich sehr gut eingesetzt werden. Als Nebenwirkung bei der Einnahme stellt sich oft ein vermehrter Harndrang ein, der aber in der Regel sehr willkommen ist.
Ätherische Öle in Heilpflanzen
Darüber hinaus gibt es nach Hildegard von Bingen die ätherischen Öldrogen. Zu diesen werden allerdings nur Pflanzen gezählt, die die ätherischen Öle in sehr hoher Konzentration enthalten. Die Pflanzen speichern die ätherischen Öle meist in Ölzellen, Ölgängen oder Öldrüsenhaaren. Die ätherischen Öle selbst setzen sich dabei aus zahlreichen Einzelstoffen zusammen, so wurden in einem einzigen ätherischen Öl mehr als 50 Einzelstoffe gefunden.
Den ätherischen Öldrogen werden unter anderem nach Hildegard von Bingen folgende Wirkungsweisen nachgesagt:
entzündungshemmend
harntreibend
krampflösend
erleichtern das Abhusten
stärkend für Magen, Leber, Galle und Darm
bekämpfen Erreger von Gärungen im Körper
bekämpfen Bakterien
Gerbstoffe in Heilpflanzen
Die Gerbstoffe, die ebenfalls in vielen Pflanzen enthalten sind, zeichnen sich dadurch aus, dass die Eiweiße, die sich auf der Haut oder der Schleimhaut befinden, binden können. Anschließend werden sie in unlösliche und sehr widerstandsfähige Stoffe überführt. Die Heilwirkung basiert auf genau dieser Tatsache, denn durch diese Wirkungsweise wird Bakterien, die sich auf der Haut oder Schleimhaut befinden, der Nährboden entzogen.
Glykoside und Saponine in Heilpflanzen
Ebenfalls sind Glykoside in zahlreichen Heilpflanzen vorhanden. Sie lassen sich in Wasser spalten – und zwar in einen Zucker und einen Nicht-Zucker. Letzterer wird genauso als Aglykon bezeichnet. Dieses ist auch verantwortlich für die Wirkung der Heilpflanzen. So können viele auf das Herz wirkende, abführende oder schleimlösende Stoffe ihre Wirkung erst durch die Glykoside entfalten. Selbst zahlreiche Amara sind erst durch das Zusammenspiel mit den Glykosiden so wirksam.
Die Saponine stellen pflanzliche Glykoside dar, sie unterscheiden sich somit nur wenig von diesen. Werden Saponine in Wasser gegeben, so entsteht ein recht haltbarer Schaum. Ebenfalls können sie Öl in Wasser emulgieren und ihnen wird eine hämolytische Wirkung nachgesagt. Das bedeutet, dass sie den roten Blutfarbstoff, der sich in den roten Blutkörperchen befindet, aus diesen austreten lassen können.
Gerne werden Saponine beim festsitzenden Husten angewendet. Hierbei können sie den festsitzenden Schleim mit der ihnen eigenen Oberflächenaktivität verflüssigen, so dass er besser abgehustet werden kann. Neu gebildeter Schleim ist dann gleich flüssiger und lässt sich leichter abhusten. Außerdem kommt es zu einer leichten Reizung der Magenschleimhaut. Diese bedingt, dass die Absonderung nahezu aller Drüsen vermehrt wird, was die Bronchien entlasten kann.
Durch Saponine wird die Aufnahme pflanzlicher Wirkstoffe aus anderen Heilpflanzen verbessert, so dass bereits sehr geringe Wirkstoffmengen ansehnliche Wirkungen mit sich bringen können. Darüber hinaus können mit Saponinen rheumatische Beschwerden gelindert, Ödeme ausgeschwemmt und Hautunreinheiten bekämpft werden. Trotz all dieser Vorteile, die die Saponine mit sich bringen, ist es wichtig, dass sie nicht überdosiert werden. Denn dies könnte zu einer sehr negativen Reizung der Darmschleimhaut führen.
Schleim in Heilpflanzen
Ebenfalls ist in vielen Pflanzen Schleim enthalten. Dabei handelt es sich um kohlenhydratreiche Stoffe. Diese quellen in Verbindung mit Wasser sehr stark auf und es entsteht eine zähe Flüssigkeit, der so genannte Schleim. Obwohl entsprechende Inhaltsstoffe in sehr vielen Pflanzen vorkommen, sind sie nur in den wenigsten Pflanzen in einer ausreichenden Menge enthalten, um sie auch therapeutisch nach den Lehren von Hildegard von Bingen einzusetzen. Bekannte Beispiele dafür sind Eibisch und Leim. Kommt Schleim in den Heilpflanzen in geringerer Konzentration vor, so führt dies dennoch dazu, dass die Intensität der Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe durch den Schleim beeinflusst wird.
Als Hauptaufgabe der entsprechenden Pflanzen nach Hildegard von Bingen ist die Reizmilderung zu nennen. So legt sich der Schleim insbesondere um die Schleimhäute im menschlichen Körper und bildet auf diesen eine Art Schutzschicht. Reizende Stoffe können sich auf diese Art nicht mehr auf die Schleimhäute auswirken oder deren Wirkung wird zumindest stark abgeschwächt. Bei einem Husten, der vor allem auf Reizungen am Kehldeckel oder im Rachen zurückzuführen ist, können die Schleimdrogen binnen kurzer Zeit eine Linderung der Beschwerden herbeiführen.
Nebenwirkungen der Schleimdrogen sind eine leicht abführende Wirkung, da auch die Füllung des Darms aufgelockert wird, sowie eine Abschwächung des Geschmackssinns, insbesondere bei saurem Geschmack.
Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe in Heilpflanzen
Ebenfalls sind die so genannten „essentiellen Nährstoffe“ in vielen Heilpflanzen enthalten. Sie sind notwendig, um das Knochengerüst des Körpers zu stärken, Zellstrukturen aufzubauen und Stoffwechselprozesse zu aktivieren, um nur einige Beispiele zu nennen. Daher ist es notwendig, dass wir mit unserer Nahrung ausreichend Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe zu uns nehmen, die in pflanzlicher Nahrung, wie Salaten, Obst und Gemüse besonders hoch konzentriert enthalten sind.
Viele Erkrankungen lassen sich auf einen Mangel an eben diesen Stoffen zurückführen und so können die Heilpflanzen, die laut Hildegard von Bingen die entsprechenden Stoffe beinhalten, auch für die Behandlung der Erkrankung eingesetzt werden. Dabei kommen verschiedene Verarbeitungsweisen zum Einsatz, je nach der zugrunde liegenden Erkrankung. Werden die Heilpflanzen zu einem Trank verarbeitet, lösen sich die Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe häufig und tragen somit zur besseren Aufnahme der gewünschten Stoffe bei.
Alles in allem enthalten Heilpflanzen also verschiedene Stoffe, nach denen sich entscheidet, in welchen Bereichen sie eingesetzt werden. Dabei bedingen sich die einzelnen Inhaltsstoffe jedoch gegenseitig, so dass sie die Aufnahme der Hauptwirkstoffe oft positiv beeinflussen können.